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Arbeiten trotz Berufsunfähigkeitsrente

Arbeiten trotz Berufsunfähigkeitsrente

Arbeiten bis zum Umfallen - überobligatorisch weiterarbeiten, obwohl die Gesundheit versagt: Das schließt Berufsunfähigkeit nicht aus!

Ein gängiges Problem bei selbstständig Tätigen: Wenn die Gesundheit streikt, sie eigentlich nicht mehr können, arbeiten sie dennoch weiter. Sie betreiben sog. "Raubbau an der eigenen Gesundheit". Ein Umstand, der den Berufsunfähigkeitsversicherer zur Leistungsablehnung bewegt - frei nach dem Motto: „Arbeiten trotz Berufsunfähigkeitsrente? So krank kann derjenige nicht sein!“

Das ist falsch. Berufsunfähigkeit und arbeiten schließen sich nicht aus.

Genauso hat zuletzt auch das OLG Hamm mit Urteil vom 27. April 2018 (AZ: 20 U 75/17) entschieden.

Was war geschehen?

Die Klägerin verfügte über insgesamt drei Verträge für eine Berufsunfähigkeitsversicherung. Nach den Versicherungsbedingungen zweier Policen lag Berufsunfähigkeit vor, wenn der Versicherte infolge ärztlich nachgewiesener Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls voraussichtlich sechs Monate ununterbrochen außerstande ist, seinen Beruf oder eine andere Tätigkeit auszuüben.

In den Bedingungen der dritten Police wurde ähnlich definiert, allerdings mit der Maßgabe, dass der Zustand voraussichtlich dauernd und nicht "nur" sechs Monate bestehen muss.

Zusammenfall von Unternehmensinsolvenz und Berufsunfähigkeit

Die Klägerin hatte ein großes Unternehmen mit bis zu 500 Mitarbeitern und mehreren Gesellschaften von ihrem Vater übernommen und dieses bis zum Jahr 2008, in dem das Unternehmen Insolvenz anmelden musste, geführt. Nachdem das Insolvenzverfahren im März 2008 eröffnet worden war, beantragte sie im April Leistungen bei ihren drei Berufsunfähigkeitsversicherern wegen Berufsunfähigkeit aufgrund von Depression.

Depression keine Krankheit, sondern "normale Reaktion auf erlittenen Verlust"

In Absprache mit den anderen Versicherern holte einer ein psychiatrisches Gutachten ein. Der Gutachter stellte zwar fest, dass die Klägerin ihre Tätigkeit nicht mehr ausüben kann, meinte aber, dies stelle eine normale Reaktion im Hinblick auf den Unternehmensverlust dar, weshalb keine bedingungsgemäße Krankheit vorliege.

Die Versicherer lehnten ab und wurden verklagt

In der Klage gab die Klägerin zu ihrer Tätigkeit an, diese im Rahmen einer sieben-Tage-Woche, von Montag bis Samstag zu 14 Stunden täglich und Sonntag sechs bis acht Stunden täglich ausgeübt zu haben. Wobei ihre Aufgaben sich auf die allgemeine Geschäftsführung, das Controlling, den Vertrieb, den Einkauf, die Produktionsüberwachung und das Personalmanagement bezogen hätten.

Seit dem 16. März 2008 könne sie diese Tätigkeit wegen schwerer Depression nicht mehr ausüben.

Das Landgericht holte ein medizinisches Sachverständigengutachten ein und gab der Klage statt, die Berufsunfähigkeitsrente musste gezahlt werden.

Dagegen gingen die Versicherer in die Berufung.

Die Entscheidung des OLG Hamm

Nachdem mit einem Versicherer ein Vergleich geschlossen worden war, bestätigte das OLG Hamm die erstinstanzliche Entscheidung hinsichtlich der beiden anderen Versicherungsverträge weitgehend.

Zunächst aber rollte es den Fall noch einmal von Grund auf und trat in die Beweisaufnahme über die tatsächliche Ausgestaltung der von der Klägerin ausgeübten Tätigkeit ein.

Keine Umorganisation bei weitgehenden Letztentscheidungskompetenzen möglich

Die hierzu befragten Zeugen bestätigten die Tätigkeitsschilderung der Klägerin weitgehend, vor allem aber deren umfassende unternehmensleitende Tätigkeit. Das OLG stellte fest, diese habe in ihrem Unternehmen eine "Klammerfunktion" mit Letztentscheidungskompetenzen inne gehabt, die wegen des umfassenden Überblicks über das Unternehmen unverzichtbar gewesen sei, weshalb auch eine Umorganisation sinnlos gewesen wäre.

Medizinischer Sachverständiger bestätigt unzumutbaren Raubbau an der Gesundheit

Im Anschluss an die Beweisaufnahme zum Tätigkeitsbild musste der medizinische Sachverständige sich mit dem Tätigkeitsbild und medizinischen Unterlagen auseinandersetzen. Er stellte fest, dass die notwendige Prognose sechsmonatiger Unfähigkeit zur Berufsausübung im März 2008 hätte gestellt werden können, weil eine im Oktober 2007 bereits begonnene medikamentöse Behandlung zu diesem Zeitpunkt immer noch keine Wirkung gezeigt hatte.

Aus den Behandlungsunterlagen ergebe sich das stimmige Gesamtbild einer schweren, zu Berufsunfähigkeit führenden Depression und nicht eine unpathologische "normale Reaktion". Dem stehe auch nicht entgegen, dass die Klägerin vor März 2008 und auch danach noch weitergearbeitet habe.

Tatsächlich sei die Klägerin schon ab Oktober 2007 nicht mehr in der Lage gewesen, ihren Beruf ohne zumutbaren Raubbau an der Gesundheit auszuüben, denn ihr sei aufgrund der Schwere der Erkrankung überhaupt keine differenzierte Tätigkeit mit unternehmerischen Anspruch mehr möglich gewesen.

Deshalb, so urteilte das OLG, müssten die Versicherer leisten.

Teilerfolg eines Versicherers mangels Prognose "voraussichtlich dauernd"

Nur hinsichtlich der Police, die eine Prognose für einen voraussichtlich auf Dauer bestehenden und krankheitsbedingten Grad der Berufsunfähigkeit von 50 % verlangte, hatte der betreffende Versicherer einen Teilerfolg in der Berufung. Diese weiter als sechs Monate gehende Prognose konnte der Sachverständige nämlich für März 2008 nicht stellen.

Allerdings griff hier zugunsten der Klägerin die vereinbarte sog. Fiktionsklausel. Nach dieser wird Berufsunfähigkeit mit Ablauf eines für sechs Monate bestehenden entsprechenden Gesundheitszustandes angenommen. Weshalb der Klägerin die Leistungen aus dieser Police wegen dem vom Sachverständigen für Anfang Oktober 2007 festgestellten Beginn der krankheitsbedingten Unfähigkeit erst ab April 2008 zugesprochen werden konnten.

Die Entscheidung zeigt: Es wichtig zu wissen, worauf es ankommt!

Auch wenn die Entscheidung des Landgerichts nicht grundlegend falsch war, so musste das OLG in zweiter Instanz durch entsprechende Prozessleitung vieles gerade rücken.

Dies ist ein häufiges Problem. Ohne oder mit nur unzureichender Beweisaufnahme ziehen sich Rechtsstreite in die Länge, Versicherungsnehmer müssen über zwei Instanzen kämpfen und lange auf ihr Recht warten.

Fachanwaltlich vertreten können solche Prozesse abgekürzt werden. Wir als auf das Versicherungsrecht spezialisierte Fachanwälte kennen die rechtlichen und tatsächlichen Probleme im Versicherungsprozess und können den Streit durch gezielte Argumentation und Hinweise an das Gericht in die richtige Bahn lenken. Deshalb sollten Sie kein Risiko eingehen und uns Ihren Fall anvertrauen. Wir vertreten Sie gerne.

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