Startseite › Neulandmethode erfordert besondere Aufklärung
Die Einwilligung einer Patientin zu einer OP mit einer neuen Methode ist unwirksam, wenn die Patientin nicht besonders darauf hingewiesen wird, dass es sich um ein noch nicht allgemein eingeführtes Verfahren handelt, bei dem auch unbekannte Risiken auftreten können. Das hat das Oberlandesgericht Hamm im Januar 2018 entschieden.
Verhandelt wurde der Fall einer 62 Jahre alten Patientin, der wegen einer Belastungsharninkontinenz ein Netz in den Beckenboden eingebracht worden war. Nach der OP musste die Patientin mit heftigen Schmerzen (Dyspareunie) und Harninkontinenz leben. Das Leid verschlimmert sich durch fünf weitere Operationen bis Mai 2009, bei denen weite Teile des Netzgewebes entfernt wurden. Aber auch danach verblieben Schmerzempfindungen.
Die Patientin verlangte von der Klinik Schadensersatzzahlungen und ein Schmerzensgeld, weil sie unzureichend über alternative Behandlungsmethoden aufgeklärt wurde.
Im Klageverfahren hatte dem schon das Landgericht (LG) Siegen teilweise stattgegeben und der Frau nach einem Gutachten ein Schmerzensgeld in Höhe von 35.000 Euro zugesprochen. Weil sich die Ärzteseite damit aber nicht abfinden wollte, legten deren Anwälte Berufung ein.
Das Oberlandesgericht (OLG) Hamm bestätigte die Entscheidung des LG mit Urteil vom 23. Januar 2018 (Az. 26 U 76/17). Die OP war also rechtswidrig gewesen, weil die Patientin zuvor fehlerhaft über die unzureichende Erfahrung mit den möglichen Folgen des neuen OP-Verfahrens aufgeklärt worden sei. Sie sei zwar neben der Neulandmethode auch über das standardisierte, klassische OP-Verfahren aufgeklärt worden. Die Aufklärung über die Neulandmethode sei allerdings unzureichend gewesen, weil sie nicht in hinreichender Weise auf die noch nicht abschließend bekannten Risiken hingewiesen worden sei.
Die klinische Erprobungsphase des seit dem Jahre 2005 zunächst in den USA eingesetzten Verfahrens sei noch nicht abgeschlossen gewesen. Der Patientin hätte ausdrücklich verdeutlicht werden müssen, dass auch unbekannte Komplikationen auftreten können.
Medizinische Forschung und Wissenschaft befinden sich in einem ständigen Wandel und bringen fortlaufend neue und verbesserte OP-Methoden auf den Behandlungsplan der Ärzte. Um diese positive Entwicklung nicht zu bremsen, muss es den Ärzten grundsätzlich erlaubt sein, vom altbewährten medizinischen Standard abzuweichen und medizinisches Neuland zu betreten.
Geht bei solchen sogenannten Neulandmethoden jedoch etwas schief, bleiben die Patienten mit quälenden Fragen zurück:
Ärztliche Aufklärungs- und Informationspflichten gewinnen nach jahrzehntelangem "Stiefkinddasein" allmählich ernsthafte und zunehmende Bedeutung. Im stressigen Praxis- bzw. Klinikalltag werden diese Gespräche mit den Patienten oft als unangenehme zeitraubende Pflicht vernachlässigt. Den Patienten muss aber die Möglichkeit zum Entscheiden verschafft werden.
Mündige Patienten sollen prüfen können, ob die angebotene Behandlung ihnen geeignet erscheint und was das Beste für sie ist. Dieses Selbstbestimmungsrecht muss beachtet werden, bei allen medizinischen Behandlungen, erst recht bei invasiven folgenschweren OPs. Selbst bestimmen und eigenständig nachdenken können Patienten aber nur dann, wenn der Arzt zuvor hinsichtlich der Methode, Risiken und Behandlungsalternativen ausreichend aufklärte.
Ohne eine ausreichende ärztliche Aufklärung liegt keine wirksame Einwilligung des Patienten in den Eingriff vor. Der Arzt macht sich schadensersatzpflichtig. Wählt der Arzt eine sogenannte Neulandmethode, trifft ihn in Bezug auf den Inhalt des Aufklärungsgesprächs eine besondere Aufklärungspflicht.
In erster Instanz bestätigte der Sachverständige, dass es sich bei der gewählten Methode im Jahr 2008 noch um eine sogenannte Neulandmethode gehandelt hat und noch ein geringer Erfahrungsschatz bestand. Deshalb sei noch keine gesicherte Kenntnis von üblichen Risiken vorhanden gewesen.
Das LG Siegen kam zu dem richtigen Ergebnis, denn ohne wirksame Einwilligung war der medizinische Eingriff rechtswidrig. Zwar haben die Ärzte bewiesen, dass sie auf die Neuheit der Methode hingewiesen haben. Das genüge aber nicht. Die Ärzte hätten die Patientin auch darauf hinweisen müssen, dass die gewählte Vorgehensweise zum Zeitpunkt des operativen Eingriffs keine Standardoperation gewesen sei und lediglich ein geringer Erfahrungsschatz bestanden habe. Auch das Risiko von Schmerzstörungen wie der unangenehmen Dyspareunie sei in den Aufklärungsbögen überhaupt nicht angesprochen worden.
Neben der üblichen Aufklärung über alternative (Standard-)Behandlungsmethoden habe es hinsichtlich der empfohlenen Neulandmethode zudem einer besonderen Aufklärung bedurft. Bei neuen, nicht zum üblichen Standard gehörenden Behandlungsmethoden sei eine gesteigerte Anforderungen an die ärztliche Sorgfaltspflicht zu stellen. Die Ärzte seien insbesondere zur umfassenden Aufklärung der Patienten verpflichtet.
Wohingegen bei Standardbehandlungen nicht auf das - in der Medizin nicht gänzlich auszuschließende - Risiko unbekannter Komplikationen hingewiesen werden müsse, sei dies bei neuen Behandlungsmethoden ganz anders. Bei Neulandmethoden haben die Patienten ein gesteigertes Interesse daran, abwägen zu können, ob eine Standardmethode mit bekannten Risiken oder eine neue Methode mit bislang noch nicht in jeder Hinsicht bekannten Gefahren gewählt wird.
Bei neuen Methoden muss den Patienten unmissverständlich verdeutlicht werden, dass auch unbekannte Komplikationen auftreten können. Nur dann dürfen für den medizinischen Fortschritt unerlässliche neue Verfahren am Patienten angewandt werden.
Die vollständige ärztliche Aufklärung ist ein häufiger Streitpunkt im Arzthaftungsrecht. Sehen Sie hierzu auch unseren Artikel "Risikoaufklärung vor Wirbelsäulenoperation".
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