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Versicherung ohne Risikoprüfung?

Haben Sie eine Versicherung ohne Risikoprüfung abgeschlossen?

Bereits seit Jahren verzichten Versicherer insbesondere beim Vertrieb von Massenprodukten wie etwa der Zahnzusatzversicherung, der Reisekrankheitskostenversicherung oder der Restschuldversicherung vor Abschluss des Versicherungsvertrags auf das Stellen von Gesundheitsfragen und übernehmen das zu versichernde Risiko ungeprüft.

Vertrieb von Versicherungen ohne Risikoprüfung und die Folgen für den Versicherungsnehmer

Um das übernommene Risiko einzugrenzen, enthalten die Versicherungsbedingungen in diesen Fällen Klauseln, denen zufolge kein Versicherungsschutz besteht, wenn der Versicherungsfall durch eine der versicherten Person bekannte ernstliche Erkrankung verursacht wird, wegen derer sie in den letzten 12 Monaten vor Beginn des Versicherungsschutzes ärztlich beraten oder behandelt worden ist, der Versicherungsfall innerhalb von 24 Monaten nach Beginn des Versicherungsschutzes eintritt und er mit der ernstlichen Erkrankung in ursächlichem Zusammenhang steht. Soll heißen: Die Versicherung zahlt nicht.

Konkretisierung des Begriffs "ernstliche Erkrankung" in der Versicherung

Der Begriff der "ernstlichen Erkrankung" wird dabei durch eine nicht abschließende Aufzählung verschiedener Krankheiten (i.d.R.: Erkrankung des Herzens, des Kreislaufs, der Verdauungsorgane, Krebs, HIV-Infektion/Aids, chronische Erkrankungen, Erkrankungen der Wirbelsäule und der Gelenke) konkretisiert. Ob dies dem zivilrechtlichen Transparenzgebot hinreichend Rechnung trägt, ist allerdings fraglich. Mit Urteil vom 04.04.2013 (Aktenzeichen: 9 S 72/12) hat das Landgericht Wuppertal jüngst einen Verstoß gegen das Transparenzgebot verneint. Nach Auffassung des Gerichts ist die Ausschlussklausel wirksam.

Restschuldversicherung ohne Risikoprüfung

In dem der Entscheidung zugrundeliegenden Fall hatte der Versicherungsnehmer im Rahmen eines finanzierten Autokaufs ohne eine vorherige Risikoprüfung eine sogenannte Restschuldversicherung abgeschlossen. Sie soll bei Eintritt des Todes, der Arbeitslosigkeit, der Arbeits- oder Berufsunfähigkeit des Kreditnehmers die Tilgung der in diesem Zeitpunkt noch offenen Raten absichern. Etwa ein Jahr nach Abschluss des Versicherungsvertrags erkrankte der Versicherungsnehmer am Meniskus und wurde arbeitsunfähig. Der Versicherer lehnte die Leistung aus der Restschuldversicherung unter Hinweis auf die vereinbarte Ausschlussklausel ab. Der Versicherungsnehmer habe sich binnen zwölf Monaten vor Beginn des Versicherungsschutzes wegen einer ernstlichen Erkrankung, nämlich einer Meniskusschädigung, in ärztlicher Behandlung befunden, was in einem ursächlichen Zusammenhang mit der zur Arbeitsunfähigkeit führenden Erkrankung stehe.

"ernstliche Erkrankung" im Sinne der Ausschlussklausel

Das Landgericht Wuppertal folgte der Auffassung des beklagten Versicherers und entschied, dass es sich bei den Beschwerden des Versicherungsnehmers vor Vertragsschluss um eine "ernstliche Erkrankung" im Sinne der Ausschlussklausel gehandelt habe. Die Klausel sei auch wirksam. Ein Verstoß gegen das Transparenzgebot liege nicht vor. Zwar sei der Versicherer als Verwender Allgemeiner Versicherungsbedingungen dazu gehalten, Rechte und Pflichten seines Vertragspartners möglichst klar und durchschaubar darzustellen. Die Klausel müsse insoweit für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer verständlich sein. Diesen Grundsätzen genüge der in der Ausschlussklausel enthaltene Begriff der "Ernstlichkeit" jedoch, weil die Klausel beispielhaft Erkrankungen aufführe, bei denen es sich nicht nur um lebensbedrohliche Erkrankungen handele, sondern um solche aus verschiedenen Bereichen, denen gemein sei, dass es sich nicht um Bagatellerkrankungen handele.

Vertragsabschluss ohne Risikoprüfung doch fraglich

Wenngleich das Landgericht Wuppertal mit seiner Entscheidung den Entscheidungen einiger anderer Instanzgerichte (vgl. OLG Schleswig, Beschluss vom 27.03.2006, 16 W 177/05; OLG Dresden, Urteil vom 30.06.2005, 4 U 232/05) gefolgt ist, begegnet die Klausel nach wie vor Bedenken: Das Gesetz räumt dem Versicherer die Möglichkeit ein, das zu versichernde Risiko vor Vertragsschluss zu prüfen, indem er den Versicherungsnehmer zu vertragserheblichen Gefahrumständen befragt. Der Versicherungsnehmer ist in diesem Fall verpflichtet, die Fragen des Versicherers vollständig und wahrheitsgemäß zu beantworten. Verletzt er diese Pflicht, läuft er Gefahr, seinen Versicherungsschutz zu verlieren. Ob der Versicherer jedoch auch dann nicht leisten braucht, wenn er bewusst auf eine solche Risikoprüfung verzichtet und ein ihm unbekanntes Risiko übernimmt, ist fraglich. Da der Versicherungsnehmer aufgrund der Konturenlosigkeit der Begrifflichkeiten "Ernstlichkeit" und "Ursächlichkeit" kaum zu beurteilen vermag, welche Krankheiten von der Ausschlussklausel erfasst werden, erfährt er erst nach Eintritt des Versicherungsfalls, ob Versicherungsschutz besteht oder nicht.

Insofern wird er - im Gegensatz zu den Fällen, in denen vor Vertragsschluss eine Risikoprüfung stattfindet - bis zum Eintritt des Versicherungsfalls darüber im Unklaren gelassen, ob eine Vorerkrankung "ernstlich" ist und zum Ausschluss des Versicherungsschutzes führt. Dementsprechend wurde die Klausel bereits von einigen Instanzgerichten für unwirksam gehalten (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 13.08.2008, 20 W 34/08; OLG Brandenburg, Urteil vom 25.04.2007, 4 U 183/06; OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 28.07.1999, 7 U 14/98; OLG Düsseldorf, Urteil vom 17.6.1999, 6 U 84/98; OLG Hamm, Urteil vom 16.10.1998, 20 U 33/98). Nicht zuletzt deswegen dürfte der Versicherer im oben dargestellten Fall die Klageforderung in der Revisionsinstanz in vollem Umfang anerkannt haben. Eine abschließende Klärung dieser Rechtsfrage wird jedoch nur durch eine höchstrichterliche Entscheidung herbeigeführt werden können und bleibt abzuwarten.

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