Schmerzensgeldanspruch: Amputation des Unterarms nach Armprellung

Handoperation vom Oberarzt anstatt vom Chefarzt

Eine Armprellung passiert bei Unfällen häufig. Man geht zum Arzt, oft wird der Arm durch eine Gipsschiene ruhig gestellt und ein paar Wochen später ist dann alles wieder gut. Macht der Arzt jedoch einen Fehler bzw. ignoriert er die vom Patienten geschilderten Beschwerden, kann sich auch eine solch lapidare Verletzung zu einem Albtraum entwickeln. So geschehen bei einem knapp 50-jährigen Mann.

Kompartmentsyndrom: bekanntes Risiko bei Prellung und Gipsschiene

Nach einem Unfall mit einem sogenannten Anpralltrauma – Prellung des rechten Unterarms/Ellenbogens sowie der rechten Hand – wurden diese durch eine Gipsschiene ruhig gestellt. Bereits ca. 1 Woche nach dem Unfall zeigte sich am Unterarm eine deutliche Schwellung, ein Bluterguss (Hämatom) sowie eine Bewegungsminderung. Zwar verschrieb der behandelnde Arzt ein sehr starkes Schmerzmittel, er versäumte es jedoch, den Arm genauer zu untersuchen.

Auch während der folgenden Behandlungstermine kam der Arzt nicht ein einziges Mal auf die Idee, die Gipsschiene abzunehmen und zu schauen, woher die starken Schmerzen des Verunfallten kamen und was die Bewegungseinschränkungen verursachte. Stattdessen überwies der Arzt seinen schmerzgeplagten Patienten erst während des vierten Behandlungstermins endlich an einen niedergelassenen Chirurgen, dem erstmalig der Verdacht eines Kompartmentsyndroms kam und den Patienten in eine Klinik einwies. Dort wurde der Verdacht des Chirurgen bestätigt.

Ein Kompartmentsyndrom entsteht, wenn Gewebe nach einer Verletzung – hier das Anpralltrauma – anschwillt, sich aber – in hiesigem Fall aufgrund der Gipsschiene – nicht ausdehnen kann. Der Druck im Gewebe steigt stark an, das Gewebe wird nicht mehr mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt. Das Muskelgewebe zerfällt bzw. stirbt ab. Leider konnte die Behandlung in der Klinik den Arm nicht mehr retten. Dem Patienten musste der rechte Unterarm amputiert werden.

Landgericht sah keinen Behandlungsfehler

Der Patient verlangte vor dem Landgericht Schmerzensgeld von seinem Hausarzt. Das Landgericht wies die Klage ab. Angeblich lasse sich kein Behandlungsfehler feststellen.

Für das Urteil beurteilte das Gericht nicht nur die vorliegende Krankendokumentation des Behandlers, sondern berücksichtigte auch ein zwei Jahre später erstelltes Gedächtnisprotokoll des Arztes sowie seine Angaben bei der mündlichen Anhörung. Obwohl die Krankenunterlagen Defizite aufwiesen, kam das Gericht zu dem Schluss, das Gedächtnisprotokoll und die Aussage des Arztes seien schlüssig, bei einer Gesamtwürdigung sei von einer hinreichenden Untersuchung des Klägers am ersten Behandlungstag auszugehen.

Dies war für den Kläger und seinen Anwalt – verständlicherweise – nicht nachvollziehbar, der Rechtsstreit wurde mit der Berufung weitergeführt. Mit Erfolg!

Das Oberlandesgericht (OLG) ging von einem groben Behandlungsfehler aus

Die Berufung des Patienten hatte Erfolg. Das OLG hielt ein Schmerzensgeld i. H. v. 50.000 € für angemessen. Die Richter gingen sogar von einem groben Behandlungsfehler aus. Bereits im Rahmen des ersten Termines hätte der Arzt eine Sichtkontrolle des Armes unter Abnahme des Gipses vornehmen müssen, nachdem der Patient über starke Schmerzen klagte.

Jedenfalls drei Tage später hätte er bei weiteren negativen Veränderungen, u. a. einer Hämatombildung, die Möglichkeit eines Kompartmentsyndroms in Betracht ziehen müssen, da in der Regel bei Prellungen kontinuierliche Besserungen zu erwarten sind.

In der Summe hat der Hausarzt es fehlerhaft unterlassen, Befunde in Richtung eines Kompartmentsyndrom zu erheben und den Kläger in chirurgische Behandlung zu überweisen. Auf ausschlaggebende Symptome wie massive Schmerzen, Schwellungen und Druckempfindlichkeit hat der Arzt hier nicht reagiert.

Dokumentationsfehler – was nicht vermerkt ist, hat nicht stattgefunden

Auch kam nun dem Kläger die schlampige und unvollständige Dokumentation des Arztes zugute. Anders als das Landgericht konnte das OLG die Erklärungen des Arztes, warum keine zeitnahe Dokumentation erfolgen konnte, nicht nachvollziehen.

Der Arzt hatte erklärt, dass am ersten Behandlungstag der Rechner an seinem Arbeitsplatz bereits heruntergefahren war. Die dennoch erfolgten Eintragungen in der elektronischen Patientenakte seien über die Arbeitsplätze der Helferinnen eingetragen worden.

Dies reichte dem Gericht so nicht. Es wäre nicht nachvollziehbar, warum zwar Diagnose, Therapie und Medikation eingetragen wurden, dann erhobene Befunde (Schmerzen, Hämatom, Bewegungseinschränkungen) jedoch nicht. Auch das Fehlen von handschriftlichen Notizen konnte der Arzt den Richtern nicht erklären.

Das Gedächtnisprotokoll konnte ebenfalls nicht überzeugen. Es war dem Arzt nicht möglich glaubhaft zu machen, warum er einen Tag nach der Behandlung keine Erinnerung an die Einzelheiten dieser mehr hatte, 1 ½ Jahre später jedoch ein äußerst genaues Gedächtnisprotokoll erstellen konnte.

Dokumentationsmängel rechtfertigen und erklären – für Ärzte nur schwer möglich

Das OLG hat daher korrekterweise das Behandlungsgeschehen anhand der EDV-Dokumentation ausgewertet. Anhand dieser wäre es spätestens am zweiten Behandlungstag zwingend notwendig gewesen, die Möglichkeit eines Kompartmentsyndroms in Betracht zu ziehen und durch Überweisung an einen Chirurgen oder in ein Krankenhaus abklären zu lassen. Wegen des Fehlens entsprechender Eintragungen bezüglich zielführender Befundung in der elektronischen Patientenkartei ist daher davon auszugehen, dass eine solche nicht stattgefunden hat.

Das Gericht hat entschieden, dass durch das Unterlassen der zielführenden Befundung ein Abweichen vom hausärztlichen Standard erfolgt ist. Der damit vorliegende Dokumentationsfehler erleichterte dem Geschädigten somit die Beweisführung, der Behandlungsfehler wurde als grober Behandlungsfehler gewertet.

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Was ist ein grober Behandlungsfehler?

Ein grober Behandlungsfehler liegt dann vor, wenn eindeutig gegen bewährte ärztliche Standards oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen wird und dies aus objektiver ärztlicher Sicht unverständlich erscheint.

Ein grober Behandlungsfehler führt zur Beweislastumkehr

Geht das Gericht von einem groben Behandlungsfehler aus, führt dieser Fehler dazu, dass der Arzt seine Unschuld beweisen muss. Er haftet dann für den verursachten Schaden (hier: Amputation des Unterarmes) sowie alle Folgeschäden, die aus dem Fehler resultieren. In dem hier zu entscheidenden Fall haftet der Arzt somit nicht nur für die Amputation sondern auch für die daraus resultierenden weiteren Komplikationen, die sich aus der Amputation ergeben können (z. B. Phantomschmerzen, Wundheilungsstörungen, weitere ambulante Behandlungen).

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